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Usinger Anzeiger vom 19.08.2002:

Über Leben, Liebe und Frauenzeitschriften

Kabarettist Stefan Jürgens gastierte im Saalbau zur Krone

HASSELBACH (ek). In Hasselbach war am Freitagabend alles anders: „Alles anders“ hieß das Programm des Kabarettisten Stefan Jürgens, der den rund 200 Besuchern im nahezu vollbesetzten Saalbau zur Krone eine Lachsalve nach der anderen entlockte.
Veranstalter war der Männergesangverein „Eintracht Hasselbach“. Der traditionsträchtige Verein feiert in diesem Jahr sein 120-jähriges Bestehen mit dem „Musik- und Kulturjahr 2002“ und präsentiert also eine ganze Reihe vielfältiger Veranstaltungen.
Anders war auch die von Vereinsmitgliedern erstellte Dekoration im Saalbau. Der aufmerksame Beobachter sah aufgespannte Regenschirme verkehrt herum an der Decke hängen oder entdeckte Kohlblätter im Blumenschmuck.
Und als dann Stefan Jürgens die Bühne betrat wurde eben auch „Alles anders.“ Vielen Besuchern war der Kabarettist als RTL-Samstag-Nacht-Star oder Tatort-Kommissar bekannt. „Doch die Hasselbacher ahnten nicht im Mindesten, was auf sie zukommen würde“, sagte Eintracht-Vorsitzender Werner Jeck. Er stellte auch fest, es sei ein schönes Gefühl gewesen, im Internet auf dem bundesweiten Tourplan des Stars Weilrod zu lesen.
Trotz Navigationssystem habe er den Ort auf Anhieb gefunden, witzelte Jürgens in der Begrüßung und hatte damit die Lacher gleich zu Beginn auf seiner Seite. Seine Art, Bilanz zu ziehen über die Absurditäten und Normalitäten des modernen Life-Style, kam bei den Zuschauern bestens an. „Das gefällt ihnen“, wandte er sich an das vor Lachen brüllende Publikum nach seinem Exkurs über Beobachtungen, die man im Alltag etwa beim Einkaufen macht. „Gibt es einen Karstadt in Weilrod, oder wo kauft ihr ein“, fragte er die Hasselbacher. Und nach der Antwort aus dem Publikum wollte er wissen, wie sie das denn machten mit den Fahrten nach Frankfurt, wo er selbst schon bei seiner Anreise für diese 30 Kilometer dreieinhalb Stunden gebraucht habe.
In unerwarteter Folge vereinte Jürgens Komik und Melancholie. Im Wechsel mit seinen Wortbeiträgen zeigte er sich als versierter Chansonier und Pianist. Dabei ließ er provokant aber stets galant seine makabre Ader wie seinen Hang zur Ernsthaftigkeit erkennen. In bissiger Art plauderte Jürgens über das Leben, die Liebe und immer wieder über Frauenzeitschriften. Komik und Melancholie, freche Texte und sanfte Lieder wechselten einander ab. Jürgens beherrschte zudem hervorragend das Spiel ohne Worte, ließ Gestik und Mimik wirken.
Tabuthemen schien der Entertainer allerdings nicht zu kennen, wandelte dabei bei schlüpfrigen Themen so manches Mal auf dem schmalen Grad hin zur Geschmacklosigkeit. Vergleichsweise harmlos waren noch seine Ausführungen über die Schamgrenze in unserer Gesellschaft in seiner Beschreibung von Umkleidekabinen im Jeans-Laden. Er machte aber auch nicht vor Obszönitäten Halt, wenn er sich etwa lang und breit über den Haarbewuchs im Genitalbereich ausließ.
Dann wandte er sich wieder sehr ernsten bis tragischen Themen zu, wenn etwa der ganz normale Mensch zum Verbrecher wird. Oder er sinnierte über Rechthaberei und Unwissenheit. Gerade diese Mischung schien dem Publikum zu gefallen, das mit Gelächter und tosendem Applaus die Gags quittierte.
Manche Erkenntnisse über Kindererziehung hatte der Kabarettist offensichtlich aus Situationen in seiner eigenen Familie abgeleitet. Seine Frau und die Kinder hatte er mit nach Hasselbach gebracht. Und obwohl er sich auf der Bühne als der Mega-Star mit den ihm zustehenden Allüren darstellte, lernte der Vorstand der Eintracht nach der Veranstaltung und der Autogrammstunde einen ganz anderen Stefan Jürgens kennen. Schriftführer Jens Heuser berichtete am nächsten Tag davon, dass der Star und seine Familie keine Berührungsängste gezeigt hätten und sich noch lange mit dem Vorstand richtig nett unterhalten habe.

© Usinger Anzeiger, 2002

 
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